DIE JUNGEN LEIDEN DES ALTEN P.
Als ich wieder mal beim Arzt war
und die Arzthelferin ganz genervt fragte: „Wie lange geht das denn noch mit
ihrer AU ?“, wusste ich keine Antwort und zuckte nur mit den Schultern. Ich
muss gestehen, man sieht es mir auch nicht an das ich krank bin. (Gott sei Dank
J)
Als ich dann zu Hause war, führte dies zu dieser
Geschichte, in der ich versuche mich für meine Krankheit und daraus
resultierende Krankschreibung zu rechtfertigen.
Das Glücksspiel
(oder besser gesagt: Eine halbe
Stunde aus dem Stationsalltag eines kranken Pflegers im Frühdienst.)
Es war 6 Uhr morgens. Die
Bewohner des Altenheims, wurden Zimmer für Zimmer geweckt und versorgt. Die
Station umfasste 20 Betten. Ich trug heute die Verantwortung für die 20 Bewohner
auf dieser Station und für meine neue Kollegin (eine Hilfskraft, die noch
angelernt werden musste).
Ich ging ins erste Zimmer.
Frau K. war am ganzen Körper mit Stuhlgang verschmiert, sie musste geduscht
werden. Also wünschte ich Frau K. einen guten Morgen und bat Sie mit ins Bad,
unter die Dusche zu kommen.
Kurze Zeit später rief meine
Kollegin aus dem Nachbarzimmer: „Paul, komm bitte schnell, Frau S. ist
gestürzt, ihr Nachthemd ist überall voll mit Blut.“
Ich konnte Frau K. (sie stand
klitschnass in der rutschigen Dusche) nicht alleine dort stehen lassen.
Es folgte ein fliegender
Wechsel, meine Kollegin (die mit dem Sturz von Frau S. total überfordert war)
übernahm Frau K. in der Dusche.
Auf dem Weg ins –Sturzzimmer- kamen
mir so Gedanken wie: Ok, jetzt muss ich
auch noch die Sanis holen und ein Sturzprotokoll schreiben. So ein Mist.
Als ich das Zimmer von Frau S.
betrat, hatte sie sich (wie von Zauberhand) alleine wieder aufgerichtet. Sie
stand vor ihrem Kleiderschrank und stöberte darin schon nach frischen
Anziehsachen. Die roten Flecken auf ihrem Nachthemd entpuppten sich als Saftflecken!
Frau S. hatte sich den roten Traubensaft nicht nur über ihr Nachtgewandt,
sondern auch über ihr Nachtkästchen und ihr Bett gekippt. Die Saftflasche, die
am Boden noch aus rollte, ließ darauf schließen.
Kaum hatte ich realisiert, das
Frau S. ohne sichtbare Verletzungen davon gekommen war und auch keine Schmerzen
äußerte, rief meine Kollegin aus der Dusche von Frau K.: „Paul, hilf mir bitte
mal, Frau K. hält nicht still, ich habe Angst das sie ausrutscht.“
So nach und nach wurden jetzt
auch die anderen Bewohner wach. Sie hatten den Tumult auf dem Flur vernommen.
Ich erkannte Herrn R. schon an
der Stimme als er rief: „Schwester, helfen sie mir bitte auf die Toilette.“
Ok. Jetzt hieß es einen Gang
zulegen. Schnell den Traubensaft vom
Boden wischen, zu Frau K. unter die Dusche und wenn möglich gleichzeitig Herrn
R. auf Toilette bringen, sonst geht es bei Ihm sofort ins Bett.
Ich war noch nicht mal bei
meiner Kollegin, die mit Frau K. unter der Dusche stand, angelangt, klingelte
das Telefon.
Da fiel mir auf, dass ich
vergessen hatte das Stationshandy einzustecken. Also musste ich schnell zum
Stützpunkt rennen, um es zu holen.
Ich kramte in meiner
Kitteltasche nach dem Schlüssel für den Schwesternstützpunkt, der immer
abgeschlossen sein musste. In letzter Sekunde schaffte ich es, den Anruf
entgegenzunehmen.
Die Pflegekraft der
Nachbarstation hatte Schwierigkeiten mit Herrn P., der schon bekannt war für
seine morgendlichen Eskapaden (die sich manchmal auch mit Vollkontakt gegen das
Pflegepersonal richteten). Also nix wie hin.
Noch während ich rannte,
klingelte das Handy schon wieder.
Meine Kollegin die mit Frau K.
unter der Dusche stand fragte nach, ob ich schon mit Herrn R. auf der Toilette
war, denn sie hatte einen dumpfen Schlag gehört, als wäre jemand aus dem Bett
gefallen.
Nach dem Erhalt dieser
Information war ich gerade auf der Nachbarstation angekommen. Dort hatte sich
der cholerische Herr P. wieder etwas beruhigt, diesmal wurde er nicht
handgreiflich, aber in seinem Zimmer sah es aus wie nach einer Panzerschlacht.
Ich half meiner Leidensgenossin die schweren Sachen, wie Bett und Nachtkästchen,
wieder zurechtzurücken.
Meine Blicke verrieten ihr,
dass ich gleich wieder zurück auf meine Station musste. Etwas entnervt nickte
sie mir zu. „Wahrscheinlich ist Herr R. aus dem Bett gefallen, da ich vergessen
habe ihn auf die Toilette zu bringen.“ ließ ich sie wissen.
Und so war es dann auch. Herr
R. lag auf dem Boden, zwar fröhlich und heil, aber vorwurfsvoll vor sich hin schimpfend,
als er mich durch die Zimmertüre kommen sah. „Wo bleibt denn die Schwester, ich
muss auf Toilette?“ waren seine begrüßenden Worte. „Die Schwester ist da“
seufzte ich.
Mein erster Gedanke: Sturzprotokoll (wie peinlich für mich, denn jeder wusste, wenn die Wünsche von Herrn R.
nicht unverzüglich befolgt wurden, würde er sich rächen).
Zur Strafe für meinen
Ungehorsam, durfte ich ihn vom Boden aufheben. Und glauben sie mir das war kein
Zuckerschlecken. Bei ihm bekam das Wort –unkooperativ-
nochmal eine ganz andere Bedeutung.
Nach dieser Prozedur hätte
mein Rücken eigentlich schon den Feierabend verdient (von meinen Nerven ganz
abgesehen), aber ich war ja gerade erst mal eine halbe Stunde im Dienst.
Ok, dachte ich mir, weiter
geht`s ins nächte Zimmer. Aber was war da los? Frau Sch. saß schon komplett
angezogen, mit Freizeitjacke und Ausgehtäschchen auf ihrem Bett und begrüßte
mich mit den Worten: „Na, da bist du ja, wann geht`s denn los? Ich warte schon
die ganze Zeit, wo sind denn die Anderen?“
Ich war sprachlos und ratlos
zugleich. Wie sollte ich Frau Sch. erklären, dass es wunderbar war, dass sie
sich schon angezogen und so prächtig für das Frühstück herausgeputzt hatte, aber
es noch perfekter gewesen wäre, wenn sie, vor dem Anziehen, das Nachthemd ausgezogen
hätte.
„Wenn das Nachthemd auf der
linken Seite halb aus der Hose hängt und rechts der Pulli Beulen schlägt, weil
sich darunter das Nachthemd zu einer Frühlingsrolle formt, sieht das
unvorteilhaft aus Frau Sch.“ war der erste Ausdruck meiner Erklärungsnot (wie
sollte ich Frau Sch. begreiflich machen, dass sie sich nochmal komplett
ausziehen durfte, sich waschen musste, und sich erst dann, wieder frisch anzuziehen
hatte?- ich wünschte mir meine Kollegin mit der –Engelszunge- hätte heute mit
mir Frühdienst bestritten).
Als ich hilfesuchend aus dem
Zimmer von Frau Sch. kam, hörte ich wie die Essenswagen schon aus der Küche
anrollten.
Wie konnte es anders sein,
kommt nicht in diesem Moment die Stationsleitung um die Ecke und fragt mich was
los sei und wo wir unsere ganze Zeit wieder vertrödelt hätten, es säße noch
kein einziger Bewohner am Frühstückstisch. Wir sollten mal ein wenig schneller machen
und mit mehr Elan an die Arbeit gehen, und wenn ich mich schneller bewegen
würde, wäre das auch besser für meine Figur!
(Ich dachte mir nur: Du
könntest ja schon mal anfangen die Teller und das Besteck auszuteilen ...)
Diese –halbe Stunde- zog sich über 25 lange Jahre meines
Lebens hin. (durchsetzt mit vielen unbezahlten Überstunden). Ich war
Vollzeitkraft in 3 Schichten die unregelmäßiger nicht sein konnten. Arbeitete
an Sonn-und Feiertagen, jedes zweite Wochenende, meine freien Tage und meine
geplanten Urlaubstage, blieben nie so wie sie eingetragen wurden.
Wenn ich im Frei war oder im Urlaub, war es an der
Tagesordnung, dass das Telefon bimmelte und ich zum Dienst musste. Ja, ich habe
sogar schon Urlaube abgebrochen, um den –Betrieb- am Laufen zu halten.
Jetzt bin ich so weit, dass ich keine schmerzfreie
Sekunde mehr habe. Meine Knochen und meine Nerven sind am Ende.
Seit über zwei Jahren bin ich jetzt AU geschrieben,
beginne bald eine Eigliederungsmaßnahme und stehe mittlerweile kurz vor Hartz
4. (bin aber aus meinem Angestelltenverhältnis noch nicht entlassen, obwohl ich
Arbeitslosengeld beziehe).
Sie fragen mich, wie lange das noch mit meiner AU geht? -
Sehen Sie, ich weiß es nicht!